The End (2024) | Film, Trailer, Kritik (2024)

In seinem Dokumentarfilm „The Act of Killing – Der Akt des Tötens“ (2012) befasste sich der in Austin, Texas geborene Regisseur Joshua Oppenheimer mit dem Massenmord, der in Indonesien zwischen 1965 und 1966 stattfand. Er forderte damalige Täter auf, die Geschehnisse in verschiedenen Rollen nachzuspielen. In der Fortsetzung „The Look of Silence – Im Angesicht der Stille“ (2014) wurde dann die Perspektive der Angehörigen eines Opfers gezeigt. Nun hat Oppenheimer mit „The End“ seinen ersten Spielfilm in Szene gesetzt – und auch dieser ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich.

Das Drehbuch, das er zusammen mit dem Dänen Rasmus Heisterberg geschrieben hat, schildert eine postapokalyptische Situation. Das ist zunächst einmal durchaus im Einklang mit einem nicht unerheblichen Teil des Mainstreamkinos. Autorenfilmer wie Tim Fehlbaum (Hell), Bong Joon-ho (Snowpiercer) oder Yeon Sang-ho (Train To Busan) haben wiederum gezeigt, dass moderne Endzeitmotive und eine individuelle künstlerische Handschrift stimmig verbunden werden können.

Es kann jedoch ohne Übertreibung konstatiert werden, dass Oppenheimer noch ein paar (Riesen-)Schritte weitergeht, um seine ganz eigene Version einer audiovisuellen Dystopie zu schaffen. Actionreiche Kämpfe, Aufnahmen einer lebensfeindlichen Umgebung und abgehärtete Figuren sollten hier jedenfalls nicht erwartet werden; stattdessen gibt es Gespräche über Kunst und Wein, eine Stepptanz-Einlage, lustige Party-Kostüme und eine erkleckliche Reihe von zärtlich anmutenden Musical-Nummern.

Die Erde inThe Endist, nun ja, am Ende. Zerstört. Nicht von Aliens oder von Zombies, sondern von uns, von unserer Ignoranz und Rücksichtslosigkeit. Die Details werden nicht geklärt – aber traurigerweise ist es gar nicht so schwer, sich das alles vorzustellen. Offenbar sind nur wenige Menschen übrig geblieben, zum Beispiel diese hier: Mutter (Tilda Swinton), Vater (Michael Shannon) und der gemeinsame 20-jährige Sohn (George MacKay). Mit einer kleinen Gruppe weiterer Personen führen sie in einem unterirdischen Bunker, tief in einer Salzmine ein elitäres Dasein, umgeben von gehorteten Schätzen, etwa den Bildern von Renoir und Monet, die in den überladenen Räumen der Familie in Kombination mit etlichen wuchtigen Landschaftsgemälden und festlicher Deko jeglichen Zauber verlieren und wie der schlimmste Kitsch wirken. In schicker Kleidung werden die Feiertage begangen; Pflanzen und Fische werden gezüchtet. Alles ist da. Ein Leben zwischen Biederkeit und Dekadenz.

Das soziale Ungleichgewicht, von dem unsere Vergangenheit und Gegenwart geprägt sind, wurde kurzerhand in den endzeitlichen Bunker mitgenommen. Die beste Freundin der Mutter (Bronagh Gallagher) fungiert als Köchin; ferner gibt es einen älteren Butler (Tim McInnerny) und einen schlecht gelaunten Leibarzt (Lennie James). Dass deren Zimmer deutlich karger eingerichtet sind, versteht sich wohl von selbst. Der Sohn dient derweil gewissermaßen als persönlicher Geschichtsschreiber und Biograf der Eltern: Er soll das, was gewesen ist, schriftlich festhalten – aber doch bitte schön so, wie Mama und Papa es haben wollen.

War die Mutter wirklich eine renommierte Tänzerin am Bolschoi-Theater? War diese unerfreuliche Sache mit dem Klima ohnehin nicht aufzuhalten – egal, was Entscheidungsträger wie der Vater getan hätten? Ach, wer weiß das schon; es wird jetzt einfach mal so behauptet, dann wird’s wohl stimmen. Nebenbei bastelt der Sohn, der nie die „alte“ Welt kennengelernt hat, an einem Diorama, in dem die Historie so wild gemixt und auf den Kopf gestellt wird, dass es direkt als dadaistisches Kunstwerk durchgehen könnte.

Als nach langer Zeit eine junge Frau (Moses Ingram) auftaucht, geraten die Routinen der eingespielten Truppe aus dem Takt. Der Sohn beginnt, vermeintliche „Wahrheiten“ zu hinterfragen. Es wäre nun allerdings ebenfalls eine dramaturgische Konvention, wenn plötzlich alle mühsam errichteten Fassaden einstürzen würden. So viel sei verraten: Die Erlösung wird nicht kommen. Für eine Held:innenreise hat hier leider niemand das richtige Gepäck. Auch sollten wir nicht darauf warten, dass die ständigen Alarm- und Schießübungen, mit denen sich diese Überlebenden vor einer äußeren Bedrohung schützen wollen, irgendwann zu einer dramatischen Auseinandersetzung führen werden.

Die Songs inThe End, geschrieben von Oppenheimer und komponiert von Josh Schmidt, transportieren nicht, wie so oft, echte Gefühle, sondern die Lügen, die für die Figuren nötig sind, um das (Über-)Leben nicht von Grund auf überdenken zu müssen. Es handelt sich dabei nicht um überproduzierte Hits mit Ohrwurmqualität, sondern um herrlich unsauber gesungene Darbietungen. „Together, our future is bright!“, heißt es in einem dieser Lieder. Und alle – die Figuren und wir – wissen, dass das nun wirklich überhaupt nicht stimmt. Aber es klingt so liebreizend, dass sich die Wahrheit vielleicht ganz kurz verdrängen lässt.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián 2024.

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Author: Mrs. Angelic Larkin

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